Für Senioren ungeeignete Medikamente: Die Priscus-Liste
Rund 66% aller Medikamentenverordnungen gehen an Menschen über 60 Jahre (Stand 2010; Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)). Menschen zwischen 60 und 64 Jahren
erhalten im Mittel etwa 2 bis 3 verschiedene Arzneimittel pro Tag. Bei über 80-jährigen sind es 4 bis 5 Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)),andere Statistiken gehen sogar noch von einer höheren Rate aus. Nicht dazu gerechnet bei diesen Angaben sind die Medikamente, die sich ältere Menschen ohne Rezept und ohne ärztliche Verordnung in der Apotheke holen. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass je er die Menschen sind, desto mehr Medikamente nehmen sie zu sich. Doch viele Medikamente sind für ältere Menschen und Senioren ungeeignet, manche sogar richtiggehend gefährlich. Über diese für Senioren ungeeigneten Medikamente informiert in Deutschland seit dem Jahr 2010 die sogenannte Priscus-Liste.
Mehr Nebenwirkungen im Alter
Viele wirksame Medikamente haben gewisse Nebenwirkungen, die im Beipackzettel aufgelistet sind und die man beim Arzt oder Apotheker nachfragen kann. Relativ wenig bekannt ist jedoch, dass sich die Nebenwirkungen gewisser Medikamente im Alter verändern und zum Teil sogar verstärken können, auch unterschiedliche und unterschiedlich starke Nebenwirkungen ein und desselben Medikamentes bei Männern und Frauen sind möglich.
Gründe für die Veränderung der Wirkung im Alter
Im Rahmen des natürlichen Alterungsprozess verändert sich der Organismus, der Stoffwechsel und zum Teil auch die Wirkung der inneren Organe. Sichtbares äußeres Zeichen dieser Veränderung ist die Zunahme der Falten im Gesicht und an anderen Stellen des Körpers. Falten deuten darauf hin, dass sich das Verhältnis von Wasser und Fett im Körper verändert. Während ein gesunder, normalgewichtiger junger Mann einen Wasseranteil von etwa 50 bis 60 Prozent und einen Fettanteil von etwa 20 Prozent besitzt (Bei Frauen ist der Fettanteil generell etwas höher), verändert sich die Anteile von Fett und Wasser im Körper auf natürliche Weise. Der Fettanteil steigt im Alter auf bis zu 30 Prozent, wohingegen der Wasseranteil auf 30 bis 40 Prozent verringert. Diese natürliche Veränderung des Körpers hat z.B. die Folge, dass sich Medikamente, deren Wirkstoffe sich vorwiegend im Körperfett anlagern, im Alter länger wirken als bei jungen Menschen. Im Gegenzug erreichen Medikamente, die sich vorwiegend im Körperwasser anlagern, im Alter bei gleicher Dosis einen viel höheren Medikamentenspiegel als bei jungen Menschen.
Ebenfalls eine natürliche Folge des Alterungsprozesses ist die Abnahme der Nierenfunktion. Ab etwa dem 40. Lebensjahr nimmt die Nierenfunktion pro Lebensjahr um etwa 1 Prozent ab. Ein 70 jähriger hat also nur noch etwa 70 Prozent der Nierenfunktion, die er als 40 jähriger hatte. Bestimmte Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck verringern die Nierenfunktion zusätzlich.
Als Folge der abnehmenden Nierenfunktion scheidet die Niere entsprechend weniger Schadstoffe und Wirkstoffe von Medikamenten aus bzw. benötigt länger, um diese auszuscheiden. Medikamente, deren Wirkstoffe überwiegend über die Niere ausgeschieden werden, können also im Alter bei gleicher Dosis länger wirken als bei jungen Menschen.
Obwohl man noch nicht sehr viel darüber weiß wird davon ausgegangen, dass auch die Funktion der Leber im Alter nachlässt. Einige Wirkstoffe, die überwiegend über Leber und Galle ausgeschieden werden, wirken im Alter deutlich stärker.
Nervenzellen werden im Alter empfindlicher. Ältere Menschen reagieren daher auf Medikamente, die auf das Nervensystem oder auf das Gehirn wirken, sehr viel stärker als jüngere.
Schließlich werden im Alter die Kompensationsmöglichkeiten weniger. Der Körper kann Blutdruckschwankungen nicht mehr so gut ausgleichen, wie in jungen Jahren. Aus diesem Grund führen Kreislaufwirksame Medikamente bei alten Menschen häufiger zu Schwindel und Stürzen.
„Potenziell inadäquate Medikamente“ (PIM)
Aufgrund dieser bekannten Veränderungen von Körper und Organismus im Alter und die daraus resultierenden Folgen für die Medikation haben Ärzte und Experten in vielen Ländern eine Liste von sogenannten „potenziell inadäquaten Medikamenten“ (PIM) zusammengestellt. Die bekannteste dieser PIM-Listen ist die Beers-Liste, die 1991 vom Altersmediziner Mark H. Beers in den USA zusammengestellt und 2003 aktualisiert wurde. In der Beers-Liste sind Medikamente aufgelistet, die 65 jährige nicht zu sich nehmen sollten.
Auch in anderen Ländern wie Kanada und Frankreich wurden vergleichbare Listen erstellt, die für Senioren ungeeignete Medikamente enthalten. In Deutschland dagegen gab es lange Zeit nichts Vergleichbares. Noch im Jahr 2005 bekam mindestens jeder 5. der über 65-jährigen Patienten in Deutschland mindestens ein Medikament aus der Beers-Liste verordnet.
Die Priscus-Liste
Erst im Jahr 2008 begann ein Verbundprojekt damit, eine auf den deutschsprachigen Markt zugeschnittene Liste mit potenziell inadäquaten Medikamenten (PIM) für ältere Menschen zusammenzustellen. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt PRISCUS (Aus dem Lateinischen, es bedeutet „altehrwürdig“) wurde von einem 27-köpfigen Team von Experten aus verschiedenen Fachrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz um die Pharmakologin Petra A. Thürmann (Universität Witten-Herdecke) eine Liste von Wirkstoffen zusammengestellt, die für ältere Menschen ungeeignet sind. Die erste Fassung der Priscus-Liste wurde im Jahr 2010 veröffentlicht. Diese Liste bestand zunächst aus 87 Wirkstoffen aus 24 verschiedenen Wirkstoffklassen. Die Einführung der Priscus-Liste zeigte Erfolge: Während 2009 noch 24 % der deutschen Patientinnen und Patienten ab 65 Jahren mindestens ein PIM (Potenziell inadäquate Medikamente) pro Jahr erhielten, waren es 2019 nur noch 14,5 % (Quelle: aerzteblatt.de).
Nach einer Neu-Einstufung durch die Experten wurde eine neue Priscus-Liste erstellt, die in ihrer heute gültigen Form 187 Wirkstoffe enthält, die für ältere Menschen ungeeignet sein können, also mehr als doppelt so viele, wie in ihrer Ursprungsfassung. Insgesamt kamen im Vergleich zur originalen Priscus-Liste 133 Wirkstoffe neu hinzu, darunter auch einige orale Antidiabetika, alle selektiven COX-2-Hemmer und mittellangwirksame Benzodiazepine wie Oxazepam.
Die derzeit gültige Priscus-Liste, genannt „Priscus 2.0“, wurde zu Beginn des Jahres 2023 nach einer längeren Phase der Überarbeitung veröffentlicht. An der Überarbeitung waren laut Ärzteblatt 59 Fachleute aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen beteiligt.
Die gültige Fassung Priscus 2.0 kann auf der Homepage des Projektverbundes Priscus als PDF-Dokument heruntergeladen werden.
Anhand der Priscus-Liste können nun Ärzte und Mediziner, aber auch die älteren Menschen selbst, nachlesen, ob ein bestimmtes von ihnen verschriebenes Medikament oder bzw. vom Patienten eingenommenes Medikament evtl. für ältere Menschen ungeeignet ist und ggf. durch ein anderes Medikament mit gleicher oder ähnlicher Wirkung, aber mit einem anderen, ungefährlichen Wirkstoff ersetzen. Die Priscus-Liste hilft also dabei, ältere Menschen die für sich richtigen und geeigneten Arzneimittel auszuwählen ohne mögliche zusätzliche oder Verstärkte und potentiell gefährliche Risiken und Nebenwirkungen.
Weiterführende Links zum Thema „Für Senioren ungeeignete Medikamente – Die Priscus-Liste“
- Homepage des Projektverbundes Priscus
- Veröffentlichung im Ärzteblatt
- Artikel „Mehr Therapiesicherheit bei älteren Patienten“ der AOK
- Pharma-Wiki „Priscus-Liste“ (Mit der Priscus-Liste aus dem Jahr 2010)
- PTA-Forum der Pharmazeutischen Zeitung
BITTE BEACHTEN SIE:
Unsere Artikel im Bereich "Gesundheit" sollen nur der Einführung
zum Thema dienen und dazu, sich erste Informationen zu besorgen.
Unsere Artikel ersetzen auf keinen Fall den Besuch bei einem Arzt oder Apotheker!
Wenn Sie Beschwerden oder Probleme haben, dann wenden Sie sich bitte an einen
Arzt und versuchen sie auf keinen Fall eine Selbstdiagnose aufgrund dieses Artikels
oder irgend eines anderen Artikels, den Sie im Internet gelesen haben!
Bitte beachten Sie außerdem, dass wir Ihnen keinen medizinischen Rat und
keine medizinische Auskunft geben können und dürfen. Bitte wenden
Sie sich auch in diesem Fall ausschließlich an einen Arzt oder
Apotheker, der sie fachgerecht beraten wird!